Zeit neu definiert
Optische Atomuhr – Deutsche Physiker definieren die Zeit neu: Neben den Einheiten Kilogramm, Ampere, Mol und Kelvin könnte bald auch die Sekunde auf der Liste der Einheiten stehen, die 2018 vom Internationalen Büro für Gewicht und Maß (BIPM)in Paris neu definiert werden soll. Denn Wissenschaftler der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) in Braunschweig haben auf Basis von Ytterbium-Ionen (Yb+) eine optische Einzelionen-Uhr gebaut, die eine hundertfach höhere Genauigkeit als die bisherigen Atomuhren aufweisen soll. Wenn sich die momentan noch theoretischen Vorhersagen der Physiker bestätigen, könnte dies sogar eine Neudefinition der Sekunde erfordern.
Optische Atomuhren wie die Ytterbium-Uhr gelten als die nächste Generation von Atomuhren, die sich jedoch noch in der Entwicklungsphase befinden. Bei den bisherigen Modellen liegt die Taktfrequenz, anhand derer die Zeit gemessen wird, im Mikrowellenbereich. Bei den optischen Atomuhren ist die Frequenz mehr als 10.000 Mal höher und liegt mit 100 bis 1.000 Terahertz (THz) im optischen Speltralbereich.
Zeitmessung ist immer ein Vergleich von Bezugspunkten, da – im Gegensatz etwa zur Stromstärke oder Windgeschwindigkeit – keine direkte Möglichkeit existiert, Zeit anhand von äußeren Einflüssen zu messen. Daher wird bestimmt, wie groß die Dauer zwischen zwei Ereignissen ist. Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts konnte die Zeit anhand der Schwingung eines Pendels am exaktesten gemessen werden. Darauf folgten Chronometer mit federgetriebener Unruh und später Quarzuhren, deren Taktgeber ein elektronischer Quarzoszillator ist, dessen Frequenz mit Hilfe eines Uhrenquarzes gehalten wird. Die genaueste Zeitmessung gelang aber bislang mit Atomuhren. 1955 entwickelten die Physiker Louis Essen und Jack Parry eines der ersten Modelle.
Für die Zeitmessung in den Atomuhren werden in der Regel Cäsium-Atome verwendet, die vereinfacht gesagt als Taktgeber anstelle einer Unruh oder eines Pendels fungieren. Sie werden in einem ersten Schritt in einer speziellen Kammer verdampft und anschließend zu einem Atomstrahl gebündelt, wodurch sie einen von zwei möglichen Zuständen einnehmen, den sie ohne äußere Einwirkung nicht wieder verändern. In einem zweiten Schritt wird der Atomstrahl auf ein Magnetfeld gelenkt, das die Atome nach den von ihnen eingenommenen Zuständen separiert, wodurch ein bereinigter Strahl mit Atomen in nur einem – ausschließlich gleichem – Zustand entsteht. Nun werden diese Atome mithilfe von Mikrowellenstrahlung mit frei wählbarer Frequenz dazu gebracht, ihren Zustand zu ändern, damit diese Änderung gemessen werden kann. Ziel ist es, dabei eine Frequenz zu erzeugen, die so exakt wie möglich mit der Eigenfrequenz des Atomstrahls übereinstimmt, da hierdurch die höchste Zahl an Zustandswechseln bei den Cäsium-Atomen erreicht wird. Um nun diese optimale Frequenz der Mikrowellenstrahlung zu bestimmen, muss genau beobachtet werden, bei welcher Frequenz am meisten Cäsium-Atome ihren Zustand gewechselt haben. Diese Messung wird mittels eines Zählwerks durchgeführt, das sich am Ende des Atomstrahls befindet. Um zu verhindern, dass dort auch die Atome mit dem ursprünglichen, unerwünschten Zustand ankommen, werden sie mittels eines zweiten Magnetfeldes abgelenkt.
Hundert Mal höhere Genauigkeit: Mit einer relativen Unsicherheit von 3 · 10-14 beziehungsweise 1,5 · 10-14 gelten hierzulande die beiden primären Atomuhren CS1 und CS2 in Braunschweig als die genauesten Uhren. Das bedeutet, dass rund 20 Millionen Jahre verstreichen müssten, bis sie eine Abweichung von einer Sekunde zur tatsächlichen Uhrzeit aufweisen würden. Die beiden Uhren bilden die Grundlage für die gesetzliche Zeit in Deutschland. Die optische Ytterbium-Uhr erreichte nun eine Messgenauigkeit von 3 · 10-18 und ist damit 100 Mal genauer als die bisherigen Atomuhren.
Die grundlegenden Ideen, wie sich mit einem in einer Hochfrequenzfalle gespeicherten Ion eine Uhr bauen ließe, entwickelte der Physiker und spätere Nobelpreisträger Hans Georg Dehmelt bereits im Jahr 1981. Seither haben Wissenschaftler auf der ganzen Welt versucht, dies mit optischen Atomuhren zu realisieren. Die Forscher von der PTB haben sich bei der Entwicklung ihrer Uhr einige besondere atomphysikalische Eigenschaften von Yb+ zunutze gemacht. Dazu gehören die zwei Referenzübergänge des Ions, welche eine außergewöhnlich kleine Verschiebung durch elektrische und magnetische Felder aufweisen und die somit optimal für eine optische Uhr genutzt werden können. Die Wissenschaftler aus Braunschweig sind die ersten, denen die Realisierung einer Uhr auf Basis von Einzelionen gelungen ist.
Sollten sich die Berechnungen bewahrheiten, würde das bedeuten, dass auch die Einheit einer Sekunde neu beziehungsweise noch genauer bestimmt werden müsste. Seit 1967 gilt folgende Definition: Die Sekunde ist das 9.192.631.770-fache der Periodendauer der dem Übergang zwischen den beiden Hyperfeinstrukturniveaus des Grundzustandes von Atomen des Nuklids 133Cs entsprechenden Strahlung. „Es gilt als sicher, dass eine zukünftige Neudefinition der SI-Sekunde auf einer optischen Atomuhr beruhen wird“, erklären die Physiker von der PTB. „Bei ihnen ist die Anregungsfrequenz wesentlich höher (1014 bis 1015 Hertz), sodass diese Uhren erheblich stabiler und genauer arbeiten können als Cäsium-Uhren.“ Die Chancen stehen also nicht schlecht, dass die deutschen Wissenschaftler im wahrsten Sinne des Wortes ein neues Zeitalter einläuten.
Text von Sabine Berger
Bildnachweis: Aluminium-Uhr (1,0 MB) Ein einzelnes Aluminium-Ion in einer Falle soll künftig dafür sorgen, dass die Zeit noch hundertmal genauer gemessen werden kann als heute. Piet Schmidt vom QUEST-Institut in der PTB möchte die genaueste Uhr der Welt bauen. (Abb.: PTB/original-okerland)