Zeitgleich Zeitsparer und Zeitfresser

Zeitgleich Zeitsparer und Zeitfresser

Zunächst mal ist klar: Mit unseren Smartphones können wir jede Menge Zeit sparen. Sie haben unseren Alltag verändert, wir können durch die gewonnene Mobilität vieles schneller und effektiver kommunizieren und erledigen. Mal eben zwischendurch, wir brauchen nicht mehr zu warten, bis wir wieder zuhause oder im Büro das Festnetz nutzen können.

Dass unser Handy aber auch herrliche Eigenschaften als Zeitfresser bereithält, liegt nicht am Gerät selbst, sondern eindeutig an unserem Nutzungsverhalten: Nicht jede SMS ist notwendig, so manches wird in die Welt kommuniziert, dass wir ihr und uns auch hätten sparen können. Da wird das Smartphone dann schnell zum Spielzeug, einfach weil es Spass macht. Und wenn nicht SMS, dann noch eben ein kurzes game. Spart auch keine Zeit, braucht eher welche – dafür macht`s gute Laune.

Einen ganz anderen, überraschenden bis reichlich quergedachten Aspekt hat Medienberater Michael Konitzer gefunden. Was subjektiv vom Handy-Nutzer selbst ganz klar als Sparmaßnahme gesehen und gelebt wird, kann zeitgleich ein echter Zeitfresser sein. Es geht um ein etabliertes New Yorker Restaurant, das wissen wollte, warum die negativen Rezensionen im Internet ständig zunahmen. „Beklagt wurde vor allem der langsame Service des Hauses. Und das, obwohl das Restaurant nach den ersten Beschwerden das Personal aufgestockt hatte. Ein Berater, der das Problem klären wollte, kam auf die Idee, den Serviceablauf anhand der Aufnahmen der Überwachungskameras im Restaurant gegenüber früher zu analysieren.“

Zur Verfügung stand ein Videoband aus einem längst ausrangierten zehn Jahre alten System. „Das Ergebnis des Vergleichs der Aufnahmen aus dem Jahr 2004 mit dem von 2014 war eindeutig. 2004 betrug die durchschnittliche Aufenthaltsdauer der Gäste in dem Restaurant eine gute Stunde. In der Zeit waren die Bestellung aufgenommen, die Getränke und das Essen serviert – und es war abkassiert. Und wichtig: Es gab nur ganz wenige Reklamationen.“

Zehn Jahre später dauerte der gleiche Prozess fast doppelt so lang, knapp zwei Stunden: „Und schuld waren vor allem iPhone & Co. Das ging schon los beim Bestellen. Bis die Speisekarte überhaupt in die Hand genommen wurde, dauerte es ewig lange. Zu viel war zuvor am Handy zu erledigen. Und natürlich musste das Personal helfen, wie man ins hauseigene WLAN hinein kam. Erst nach mehrmaligem Mahnen wurde die Speisekarte zur Hand genommen, und natürlich wurde sie gerne auch mit dem Handy abfotografiert.

Wenn das Essen endlich auf den Tisch kam, wurde es ausführlich fotografiert, per Facebook etc. versendet – und auch gegenseitig wurden munter Menschen mit ihrem Essen fotografiert. Dieser Prozess dauerte oft so lang, dass das Essen kalt geworden war – und Reklamation! – zum Aufwärmen zurück in die Küche gehen musste. Als besonders zeitraubend erwies sich zudem die weit verbreitete Gewohnheit, sich vom Servicepersonal gemeinsam beim Essen fotografieren zu lassen. Natürlich nicht nur einmal, denn oft ist das schönste Bild erst das dritte.“

Mehr dazu bei Michael Konitzer, Die neue digitale Wirklichkeit