Eine Woche Zeit, um ein Museum der Zeit zu gründen: „Krempeln wir die Ärmel hoch.“

19 Menschen auf einem malerischen Gut an der Ostsee und eine Woche Zeit, um ein Museum der Zeit zu gründen. Geht das überhaupt? Was ist das eigentlich – Zeit? Jeder von uns ist untrennbar damit verbunden, wird nonstop damit konfrontiert, aber wie kann man sie definieren?

So viel haben wir schon einmal nach den ersten zwei Stunden angeregter Diskussionen festgestellt: Es gibt so viele Definitionen für das Phänomen Zeit wie Menschen. Jeder sieht Zeit anders: aus physikalischer, historischer, philosophischer oder eben persönlicher Sicht. Das macht das Unterfangen auch so spannend und herausfordernd.

Aber nun von Anfang an: Auf Einladung der Alfred Töpfer Stiftung und des ZEIT-Verlages fanden sich am Montagabend 19 Menschen auf Gut Siggen ein, dem Seminarzentrum der Alfred Töpfer Stiftung, um über den Grundstein für die Gründung von know time, eines virtuellen Museums der Zeit zu legen. In einer pittoresken Landschaft nur wenige Meter vom Ostseestrand entfernt lässt sich wunderbar und in aller Ruhe über Inhalte, Finanzierungs- und Geschäftsmodelle diskutieren.

Der erste Tag beginnt im Stuhlkreis und das war es auch schon an Klischeehaftigkeiten: Statt der üblichen Vorstellungsrunden lässt uns Moderatorin Tina gegenseitig portraitieren, allerdings ohne auf das Blatt zu schauen. Ein gewagtes Unterfangen, aber danach kennt man tatsächlich alle Namen, und jede dazugehörige Pore. Lückenlos.

Ein tolles Konzept, das für eine gute Stimmung und viele Lacher sorgt. Nach weiteren „Einordnungs-Spielen“, bei den wir uns geographisch, beruflich und medial verorten, haben wir uns ein Bild von unseren „Zeitgenossen“ gemacht und wissen nun um die Vielfalt der Teilnehmer: Von Wissenschaftlern und Museumsleuten über Künstler und Galeristen bis hin zu Online- und Medienexperten sind alle dabei.

Einige bekannte Gesichter und Namen begegnen mir: Prof. Dr. Holger Simon, Pausanio und Uni Köln und Reinhard Gröne, arteversum, die das Projekt angestoßen haben, Julia Jochen aus dem ZKM (den Beitrag zu Ihrem Vortrag auf der Quadriennale-Konferenz findet ihr hier), Prof. Dr. Bernd Günter, Heinrich-Heine-Uni, mit dem ich am Museum Kunstpalast viele Projekte gemacht habe und der ehemalige Kanzler der Kunstakademie Düsseldorf, Prof. Dr. Peter Lynen.

Nach dem Mittagessen und einem sehr verregneten aber erfrischenden Spaziergang (fast) zum Meer, geht es dann weiter mit dem Prinzip des Open Space: Jeder definiert ein Thema, das ihn am Phänomen Zeit interessiert bzw. fasziniert und tauscht sich darüber mit denjenigen aus, die sich dafür ebenfalls interessieren. Die vier simplen, aber allgemeingültigen Regeln eines Open Space haben es mir dabei sehr angetan:

  1. Die, die da sind, sind die Richtigen.
  2. Es beginnt, wenn die Zeit reif ist.
  3. Vorbei ist vorbei, nicht vorbei ist nicht vorbei.
  4. Was auch immer passiert, es ist das Einzige, was passieren könnte.

Zusätzlich besagt das Gesetz der zwei Füße, dass man die Themenkreise besuchen und auch wieder gehen kann, wie man will.

Es gibt eine unglaubliche Fülle an Themen, die von den Teilnehmern aufgeführt werden: Von der subjektiven und objektiven Zeiterfahrung, der Erfahrung von Zeit über Sinnesorgane, über „Zeit im Bild“ und die Visualisierung von Zeit. Wieso empfindet man eine Fahrradfahrt im strömenden Regen als quälend lang im Gegensatz zu einer Tour bei herrlichem Wetter? Wie kann man das flüchtige Gut Zeit sichtbar machen? Ist die Zeit ein Konstrukt der Menschheit, sind wir die Zeitmacher? Welche Rolle spielt ein Vorwissen für die Erfahrung der Zeit? Wie sieht die Physik Zeit mit ihren verschiedenen Ansätzen der Thermodynamik, Quantenmechanik und Relativitätstheorie?

Dr. Christian Sicka vom Deutschen Museum in München als einziger Vertreter der Physik erklärt uns, dass der vorhersehbare Zerfall von radioaktiven Teilchen einerseits wie eine Uhr betrachtet werden kann, andererseits haben diese Teilchen keinen eigenen inneren Mechanismus. So viele spannende Ansätze, Theorien, Sichtweisen.

Ich kann mich nie ganz von dem Ziel lösen und in der Folge geistert ständig die Frage nach der Nachfrage, und nach dem „Konsumenten“, dem Menschen in meinem Kopf. Wie kann man das unfassbare Phänomen der Zeit soweit fassbar machen, dass es eine Relevanz für die Menschen darstellt? Gibt es überhaupt ein echtes Bedürfnis nach einem Museum der Zeit in unserer heutigen Zeit? Entspricht das dem Zeitgeist? Wie kann man Zeit an unterschiedliche Zielgruppen vermitteln?

Mit Julia aus dem ZKM und dem Künstler Ralf überlegen wir, ob man das Konzept nicht „globaler“ denken müsste und den Zeitbegriff unterschiedlicher Kulturen einbeziehen sollte.  Somit müsste das Museum unabhängig von Zeitzonen, Sprachen und Orten sein. Und optimalerweise barrierefrei. Ohne also überhaupt das „Produkt“ näher definiert zu haben, gehen wir schon einen Schritt weiter. Sind wir damit der Zeit voraus?

Am Ende des Tages kristallisiert sich ein Bild in dem Gewirr von Ideen heraus, mit dem alle einverstanden sind: Das Labyrinth soll mit seinen zahlreichen Zugängen ein offenes, niedrigschwelliges Museum symbolisieren, das jedoch jeden Besucher einen eigenen Weg entdecken lässt.

Also: krempeln wir die Ärmel hoch und legen los!

Ein Text von Barbara Wolf, culturebrands.de TAG 1 / Museum der Zeit.